Stoppt den Krieg!
05. Mrz 2022
Zu der Kundgebung am 5. März „Stoppt den Krieg! Frieden für die Ukraine“ hatten die Osnabrücker Friedensinitiative (OFRI), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und pax christi aufgerufen. 2500 Menschen hatten sich zu der Kundgebung mit Schweigemarsch versammelt.
Nachfolgend lesen Sie den Redebeitrag von Dr. Gerrit Schulte von pax christi, den Sie auch im Download herunterladen können.
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
Was kann ich diesem beeindruckenden Bild so vieler
Teilnehmerinnen in der Friedensstadt hier noch hinzufügen? Dass so viele
gekommen sind, zeigt, ja, wie sehr wir alle auch emotional angesprochen sind
von den Ereignissen in der Ukraine. Nicht anders ergeht es dem russisch-deutschen
Schriftsteller Wladimir Kaminer, der heute Morgen in einem Interview sagte: Wenn
ich auf die Ukraine und auf Russland schaue, dann weine ich.
Diese Reaktion kennen wir – so glaube ich – alle.
Wie nahe auch den Profis aus dem Politikbetrieb die Lage der Menschen in der
Ukraine geht, zeigte sich auch bei der Zuschaltung des ukrainischen Präsidenten
in das Europaparlament. Ein Freund von mir war dabei als Journalist in Brüssel.
Er schrieb mir, dass bei der Übersetzung der dramatischen Worte des
ukrainischen Präsidenten selbst den professionellen Dolmetschern die Stimme mehrfach
gebrochen sei.-
Am vergangenen Samstag haben wir hier in Osnabrück
in der wöchentlichen Friedensandacht in der Marienkirche einen
ukrainisch-orthodoxen Pastor gehört, der in Deutschland geboren wurde, weil
seine Mutter und sein Vater hier als Zwangsarbeiter leben und arbeiten mussten.
Mir wurde da noch einmal sehr bewusst: Wir haben als Erben der
nationalsozialistischen Verbrechen eine historische Verpflichtung. Vor 80
Jahren waren es deutsche Soldaten, die mit Panzerkolonnen gegen Kiew zogen in
eine der fürchterlichsten Kesselschlachten des Zweiten Weltkrieges. Vergessen
wir das nicht!
Wir sehen jetzt, dass wieder ein Lügner einen
Überfall begeht auf seinen Nachbarstaat. Dieser Verbrecher und seine Clique aus
Oligarchen, nationaler Polizei und Geheimdienstlern – nicht das russische Volk,
nicht die (!) Russen - brechen alle internationalen Verträge: Helsinki, Paris
und das Budapester Memorandum von 1994, in dem Russland der Ukraine zugesichert
hat, auf jede Form der Gewalt gegen das Land zu verzichten. Aber eben nicht das
russische Volk, nicht die Menschen dort brechen internationales Recht. Lassen
wir uns deshalb auch hier vor Ort nicht spalten. Stigmatisieren wir nicht
unsere russisch-deutschen Mitbürger, grenzen wir sie nicht aus der Gemeinschaft
der Friedensstadt aus. Und denken wir auch an die jungen russischen Soldaten,
die zu Manövern gerufen wurden und in einem Angriffskrieg ankamen.
Wir wähnten uns doch alle nach 1989 in einer neuen
Welt des Friedens, in der die Stärke des Rechts herrscht und nicht das Recht
des Stärkeren. Garant dafür sollen die Vereinten Nationen, der Sicherheitsrat und
das Völkerrecht sein; die werden aber von Russland verhöhnt und belogen. Wer
gegen alle internationalen Rechtsnormen verstößt, übrigens auch schon mit der
Annektion der Krim, ist nichts anderes als ein Kriegsverbrecher, der vor den
Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gehört; auch eine Institution, die
durch das Engagement der Friedensbewegungen in aller Welt seit mehr als 100
Jahren entstanden ist.
Ich spreche hier für die katholische
Friedensbewegung, daher auch ein Wort zu den christlichen Kirchen, die in ihrer
Geschichte auch selbst Schuld auf sich geladen haben. Sie bekennen seit den
Erfahrungen der großen Weltkriege und seit der Entwicklung der
Massenvernichtungswaffen einmütig: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Jede
Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte und ihrer Bevölkerung
abstellt, ist danach ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das
entschieden zu verwerfen ist. Viele russisch-orthodoxe Priester und Diakone
stehen auch in Russland mutig dafür ein – anders als ihr Patriarch Kyrill, der
nicht das Evangelium verkündet, sondern seinen Staatspräsidenten. Kehren Sie
um, Herr Patriarch!
Ich weiß, dass es über den richtigen Weg der
Solidarität und Hilfe auch innerhalb der Friedensbewegungen Diskussionen gibt. Es
ist ein friedensethisches Dilemma: Einerseits stehen wir immer für gewaltfreie
Lösungen ein, - das ist unser Kern, andererseits gibt es auch die
Verpflichtung, Menschen beizustehen, die überfallen werden. Dieses Dilemma müssen
wir aushalten. Konsens ist aber für uns alle die Forderung an den Aggressor:
Stoppt den Krieg, lasst die Waffen schweigen. Sofort! Nicht nur als Feuerpause
für humanitäre Korridore.
Der Überfall auf die Ukraine ist ein bitterer
Rückschritt für uns Friedensbewegte. Gegen alle Selbstverpflichtungen aus
unserer entsetzlichen Vergangenheit erscheint nun der Ruf nach
Waffenlieferungen auch in Kriegs- und Krisengebiete wie in die Ukraine wieder naheliegend,
erscheint Militarisierung und Aufrüstung wieder dringend geboten, gelten zivile
Wege der Konfliktbewältigungen mehr denn je als utopisch. Freundinnen und
Freunde, wir werden einen noch längeren Atem brauchen, um das, was uns wichtig
ist und richtig erscheint, vermitteln und erreichen zu können. Aber, liebe
Friedensbewegte, lasst euch um Himmels willen nicht entmutigen. Damit die Logik
von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen wird, die Logik, die lautet: Wenn du
Frieden willst, bereite den Krieg. Wir stehen hier für die Überzeugung: Wenn du
Frieden willst, bereite den Frieden!
Ich möchte schließen mit einem Wort aus einem
Schreiben, dass uns aus den sozialen Hilfsorganisationen in diesen Tagen aus
Russland erreicht hat, von Partnern und Partnerinnen, die ich selbst schon
mehrfach in Russland besucht habe und deren Einsatz für die sozial schwachen
Menschen ich erleben durfte. In dem Brief heißt es voller Entsetzen über das
Handeln der eigenen russischen Regierung: „Was ich gerade erlebe, ist mit
Worten nicht zu beschreiben: Entsetzen, Scham, Angst. Keine Hoffnung. Gar
keine. … Am schlimmsten ist, dass nicht wir diesen Weg gewählt haben. Wir
wurden vor eine vollendete Tatsache gestellt, und wir werden diesen Weg auf den
Knien gehen. Wir sind wieder allein, bei uns nur die, die uns brauchen, und
jeden Tag werden es mehr.“ Das Schreiben endet mit den Worten: „Ich weiß, Sie
sind bei uns, sorgen für uns, beten. Es kann passieren, dass Sie keine
Möglichkeit mehr haben werden, die armen Menschen hier zu unterstützen, aber
bitte: Verlasst uns nicht.“
Liebe Freundinnen und Freunde. Ein emotionales Wort
wie am Anfang. Aber es ist wichtig zu wissen, wie die Menschen auch in Russland
fühlen. Für die Menschen auf allen Seiten des Krieges rufen wir deshalb hier:
Stoppt den Krieg! Bereitet den Frieden! Sofort!
Schalom!
Dr. Gerrit Schulte, Diakon i.R.
Pax Christi Regionalverband Hamburg-Osnabrück